Autorin
Journalistin
Die Frage ist doch, wie fange ich es jetzt an. Wie kriegt diese Kolumne einen gescheiten Beginn. Und wenn schon nicht gescheit, dann wenigstens amüsant oder überraschend.
Neulich haben sie in der „Süddeutschen Zeitung“ Hellmuth Karasek interviewt. Zu der Frage, wie wichtig der erste Satz einer Geschichte ist. Zum Beispiel einer wie dieser: „Ich bin gerade auf dem Weg zum Emir.“ Kommt harmlos daher, baut aber eine enorme Bedeutungskulisse auf. Da ist einer immerhin so wichtig, dass er sich gleich mit einem Emir treffen kann. So weit Karaseks literarische Analyse. Das Ganze könne also durchaus noch das Zeug zu einem Drama haben. Vielleicht aber auch nicht.
„Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie hingegen ist unglücklich auf ihre besondere Art.“ So beginnt Leo Tolstoi seine „Anna Karenina“. Ungeheure Spannung baue das auf, findet Karasek, schon ist der Leser gefangen und nach 1014 Seiten hin und weg. „Anna Karenina“ gehört zu seinen Lieblingsromanen.
Noch hat Daniel Glattauer, der Bestsellerautor von „Gut gegen Nordwind“ nicht ganz die literaturhistorische Bedeutung von Tolstoi erreicht, aber einen Anfang musste schließlich auch er machen. Die Geschichte seines neuen Romans „Ewig Dein“ beginnt mit einem Mann, der in der Käseabteilung eines Supermarktes einer Frau mit seinem Einkaufswagen in die Hacken rauscht. Um diesen simplen Fakt in eine schöne Form zu gießen, brauchte es am Ende nur 15 Wörter: „Als er in ihr Leben trat, verspürte Judith einen stechenden Schmerz, der gleich wieder nachließ.“ Um diese 15 Wörter hat der Autor allerdings mehr als einen Monat gerungen. Die Erleichterung hätte nicht größer sein können, als der erste Satz endlich auf dem Papier stand.
Er hat mir das neulich mal in einem Interview erzählt. Danach bin ich in mich gegangen und habe mich gefragt, ob ich nicht vielleicht doch geduldiger, gelassener sein sollte beim Bücher lesen. Den ersten Satz eben nicht so wichtig nehmen. Und ein Buch auch nicht schon (?) nach 30, 40 Seiten beiseitelegen, nur weil es mein Interesse bis dahin noch nicht wecken konnte.
Uwe Tellkamp, sagen die Leute, habe mindestens 80 Seiten gebraucht, bis seine Geschichte vom Turm endlich anfing. Das sei zu Beginn also ziemlich öde und mühsam gewesen. Der Rest des Buches hingegen, immerhin noch über 900 Seiten, sei überragend erzählt und geschrieben.
80 Seiten Anlauf, um dann den ganz großen literarischen Wurf zu landen?
Möglich.
Ich kann es nicht beurteilen. Ich habe sein Buch nicht gelesen. Was? Die Westermann schreibt Kolumnen für das Buchjournal und kennt einen deutschen Buchpreisträger nicht? Stimmt.
Vielleicht war der Beginn dieser ersten Kolumne nur mäßig, aber wenn das kein überraschendes Ende ist, weiß ich auch nicht.